Aufwendige Entscheidungsprozesse vermeiden
Hast Du auch schon einmal Dinge einfach entschieden, weil es einfacher und schneller ging und Du keine Lust hattest, einen aufwendigen Entscheidungsprozess mit vielen Beteiligten herbeizuführen? Und dich dann hinterher geärgert, dass die Dinge nicht umgesetzt werden oder keiner sich an die Vorgaben hält? Willkommen im Club. Dazu kommt die Sorge, dass eine Beteiligung Aller in ausufernde Diskussionen mündet, hinterher die Nerven blank liegen und alle Beteiligten wieder genug vom Arbeitsschutz haben. Schade. Dabei hilft Systemisches Konsensieren. Es kann das Leben von Fachkräften für Arbeitssicherheit leichter machen, weil es hilft, im Team tragfähige Lösungen zu finden und damit alle mitziehen.
Herausforderung Gruppenentscheidung
So ähnlich war die Situation bei einem Kunden, die das Ziel hatten, die wichtigsten Arbeitsschutzregeln für ihr Werk festzulegen. Top 5 - 10 Arbeitsschutz Regeln, angelehnt an „Life Saving Rules“, sollten es werden, liebevoll auch „unsere 10 Gebote“ genannt. Es war bereits klar, dass solche Regeln nur mit aktiver Beteiligung der Führungskräfte entstehen können. Andernfalls sind sie kaum etwas wert und die Arbeitssicherheitsexperten bleiben einsam auf ihrer Mission. Nachdem die etablierten Gremien mit dieser Aufgabe überfordert waren, hat man sich entschieden, diesem Thema einen ganzen Workshop-Tag mit externer Moderation zu widmen.
Dem Konsens nähern
Systemisches Konsensieren (SK) eignet sich für diesen Fall besonders gut. Es ist eine von zwei Mathematikern der Universität Graz entwickelte Methode, um bei Gruppenentscheidungen tragfähige Lösungen zu finden. Alle Nachteile klassischer Entscheidungsverfahren, wie
- eine Mehrheit bedeutet nicht automatisch viel Zustimmung,
- lange Diskussionen und Vetooptionen bei Konsensentscheidungen,
- Alleinentscheidungen bzw. kein Mitspracherecht der Betroffenen bei hierarchischen Entscheidungen,
treffen auf Systemisches Konsensieren nicht zu. Beim Systemischen Konsensieren wird nicht die Option ausgewählt, die die Meisten wollen, sondern diejenige, die am wenigsten Widerstand auslöst, am wenigsten Sand ins Getriebe bringt, also einem Konsens am nächsten ist. Diese Option hat die höchste Akzeptanz. Alle Meinungen werden gehört, alle Lösungsmöglichkeiten werden bewertet. Gleichzeitig gibt es keine endlosen Diskussionen, weil die Argumente auf Flipchart oder Whiteboard visualisiert sind und es keinen Grund gibt, Dinge mehrfach in anderen Worten zum Besten zu geben. Bei der Bewertung beurteilt jeder aus seiner Sicht und mit seinen Bedürfnissen, wie gut er/sie mit der Lösung mitgehen kann. Dabei betrachten wir nicht nur unsere Lieblingslösungen, sondern alles, was OK ist. Damit ist die Schnittmenge größer.
Fokus auf Widerstände anstatt Zustimmung
Das Besondere am Systemischen Konsensieren ist der Fokus auf Widerstände anstatt auf Zustimmung. Dieser Unterschied scheint auf den ersten Blick wenig spektakulär, macht in der Praxis jedoch einen enormen Unterschied. Bei der Suche nach Lösungen wird von Anfang an versucht, die Belange aller Beteiligten zu berücksichtigen. Man sucht nach den Optionen, die alle mittragen können, nicht nach Lieblingslösungen einzelner, die durch geschickte Mehrheitssuche eine Abstimmung für sich entscheiden können. Es gibt keine Sieger oder Verlierer, weil wir die Schnittmenge aller OK-Zonen ermitteln.
Systemisch Konsensieren kann in unterschiedlich großen Gruppen genutzt werden. Klassischerweise nutzt man eine Skala von 0-10 für die Bewertung von Widerständen. Wenn es schnell gehen soll und eine grobe Bewertung ausreicht, nutzt man Handzeichen. An dem oben genannten Workshop-Tag gab es Themen, die mit Stimmzetteln und einer 0-10 Skala entschieden wurden und andere, bei denen Handzeichen ausreichend waren.
Beispiel Betriebsausflug
Zur Verdeutlichung zeigen wir ein einfaches Beispiel. Ein Team plant einen Betriebsausflug. Es wurden 4 Vorschläge eingereicht. Bei einer klassischen Mehrheitsentscheidung würde der Oktoberfest-Besuch gewinnen, weil es für Klaus und Korbinian die Lieblingslösung ist (markiert mit 0 Widerstandspunkten in der Abbildung). Die anderen Optionen haben jeweils eine Stimme erhalten. Beim Systemischen Konsensieren werden alle 4 Optionen von jedem Teammitglied mit einer Skala von 0 – 10 bewertet. 0 bedeutet kein Widerstand, passt für mich. 10 bedeutet, das geht für mich gar nicht, da komme ich nicht mit. Nachdem die Widerstände für jede Option zusammengerechnet wurden wird deutlich, dass eine Wanderung die wenigsten Widerstandspunkte und somit die höchste Akzeptanz hat. Sowohl Karin als auch Katharina haben ein Problem mit dem Oktoberfest und würden vermutlich nicht mitkommen. Eine Wanderung ist die beste Lösung für dieses Team. Die sogenannte Passivlösung, keinen Ausflug zu machen, erhielt besonders viele Widerstandspunkte. Das bedeutet, dass dem Team sehr daran gelegen ist, diesen Ausflug zu machen.
Abb. 1: Beispiel Systemisches Konsensieren zum Betriebsausflug, Messung der Widerstandsstimmen
Systemisch Konsensieren im Arbeitsschutz
Wenn wir eine Entscheidung für ein Arbeitsschutz Problem treffen müssen, gibt es meist mehrere Lösungsmöglichkeiten. Lösungen, die ohne die Beteiligten, oder von oben aus dem Glaskasten entschieden werden, werden häufig belächelt, ignoriert und wenig engagiert, widerwillig, oder gar nicht umgesetzt. Sie bewirken eher genervte Blicke als mehr Motivation für sicheres Arbeiten. Lösungen, die gemeinsam erarbeitet werden, erfahren viel mehr Zustimmung und sind erfolgreicher bei der Umsetzung. Das gilt sowohl für Mitarbeitende als auch für Führungskräfte. Ein Werkzeug für die Entscheidungsfindung, das eine klare Struktur gibt und systembedingt Kooperation fördert, gibt Sicherheit, dass ein gemeinsamer Prozess leicht geht und erfolgreich wird. Das haben wir bei den „10 Geboten“ erlebt. Neben der oben erwähnten Einführung von werksübergreifenden Regeln können auch praktische Lösungen von Gefahrstellen, Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitskultur oder einfache Dinge wie ein akzeptierter Standardtermin für die regelmäßige Arbeitsschutzausschuss-Sitzung konsensiert werden. Dabei geht es immer um das Ziel, die Lösung mit dem größtmöglichen Konsens zu finden.
Umsetzung
Es braucht etwas Mut, mit einem solchen neuen System anzufangen. Außerdem macht es Sinn, es vorher richtig zu lernen. Auch wenn es jetzt hier einleuchtet und leicht klingt, ist die Umsetzung nicht trivial. Es gibt Seminare, in denen man Systemisches Konsensieren lernen kann. Oder man holt sich externe Unterstützung als Moderation für ein bestimmtes Thema. Für komplexe kurzfristige Probleme eignet sich ein externer Moderator, für eine dauerhafte Integration in den Unternehmensalltag empfiehlt sich das Seminar.
Win-Win
Idealerweise ändert sich damit die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Keine Machtspielchen, Intrigen oder Durchdrücken von Lieblingslösungen mehr, sondern die für die Firma beste Lösung, erarbeitet von den besten Mitarbeitern. Wenn die es nicht wissen, wer dann? Daraus folgt mehr Akzeptanz für Arbeitsschutz-Lösungen und ein besseres Betriebsklima. Zur Nachahmung empfohlen.