Konflikte zwischen Führungskräften und Sifas

In der ersten Folge dieser Serie (Sicherheitsingenieur 1-2/2023) ging es darum, wie wichtig die Führung für die Weiterentwicklung der Sicherheitskultur ist. Gleichzeitig ist es in der Realität nicht immer einfach, das, was eigentlich richtig wäre, auch zu tun. Es kommt zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten.

Sechs Gründe, warum die Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Fachkräften für Arbeitssicherheit manchmal schwierig ist

Die Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) meint zum Beispiel, dass die Führung ihrer Verantwortung nicht gerecht wird und zu wenig tut. Die Führungskräfte
meinen vielleicht, dass die Sifa mehr Aufgaben übernehmen sollte. Warum wir manchmal nicht so voran kommen, wie wir das eigentlich gerne hätten, darüber
geht es in dieser Folge, insbesondere im Zusammenspiel zwischen Führungskräften und Sifas.

1. Unterschätzung künftiger Risiken

Auch wenn Führungskräfte verstehen, dass sie eine enorm wichtige Rolle im Arbeitsschutz spielen, bedeutet das nicht automatisch, dass sie sich die notwendige Zeit dafür nehmen. Aus unterschiedlichen Gründen. Andersherum bedeutet es allerdings auch nicht automatisch, dass es ihnen nicht wichtig ist.

Für Führungskräfte sind viele Dinge wichtig. Führungskräfte haben eine Vielzahl an Aufgaben mit unterschiedlichem Aufwand und Prioritäten. Auch die Auswirkungen, wenn man etwas nicht macht, sind divers. Arbeitsschutz Aufgaben sind selten akut. Es schreit kein Kunde. Zudem sieht man das Ergebnis seiner Bemühungen nicht sofort. Eine gute Sicherheitskultur ist kein sichtbares Ergebnis einer Handlung, sondern eines langen Prozesses. Für einzelne Schritte dorthin, gibt es keine Belohnung.

Wenn ich mich dagegen besonders um einen Kunden kümmere, bekomme ich wahrscheinlich einen neuen Auftrag. Wenn ich ein Qualitätsproblem löse, können wir Lieferzeiten einhalten. Wenn ich mich um Arbeitsschutz kümmere, haben wir vielleicht irgendwann eine bessere Unfallstatistik. Oder andersherum: Wenn ich mich nicht ausreichend um Arbeitsschutz kümmere, haben wir vielleicht irgendwann einen schweren Arbeitsunfall.

Risiken, die vielleicht irgendwann in der Zukunft auftreten, unterschätzen wir meist. Das ist wie mit dem Rauchen. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, liegt in ferner Zukunft und beeinflusst das Handeln im Hier und Jetzt nur bedingt. Arbeitsschutz ist schwerer greifbar, als die anderen Dinge, die die Aufmerksamkeit einer Führungskraft fordern.

Wenn man Arbeitsschutz nicht als unumstößliche Grundvoraussetzung definiert hat, um die man sich selbstverständlich vor allem anderen kümmert, liegt es in der Natur der Sache, dass es schwierig wird. Es braucht eine klare Haltung pro Arbeitsschutz, regelmäßige Erinnerungen und gute (neue) Routinen, damit Arbeitsschutz selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitsalltags wird.

2. Mehr Aufgaben anders verteilen

Das kennt wahrscheinlich jder: MAN müsste sich mal darum kümmern, dass …. Wer ist MAN? Wenn wir uns mehr um Arbeitsschutz kümmern wollen, um eine bessere Sicherheitskultur zu etablieren, gibt es mehr zu tun. Alle sind bereits ausgelastet. Grob sind die Aufgaben zwischen Führungskräften und Sifas geregelt, aber im Detail gibt es Klärungsbedarf.

„Ist das nicht eine klare Führungsaufgabe?“, denkt sich die Sifa. „Haben wir dafür nicht die Sifa?“, überlegt die Führungskraft. Wenn z.B. Führungskräfte und Sifa an der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung beteiligt sind, wer dokumentiert sie danach? Wer kümmert sich um die Meldung, Untersuchung und Umsetzung von Maßnahmen nach gemeldeten Beinaheunfällen? Wer überlegt sich attraktive Themen, die in Teambesprechungen Anstöße für sicheres Arbeiten geben sollen? Wer löst die gemeldeten Gefahrstellen, die erstmal mehr werden, wenn wir mehr Fokus auf Arbeitsschutz legen? Wer schreibt Betriebsanweisungen? Wer kümmert sich darum, dass neue Mitarbeiter Sicherheitsschuhe bekommen?

Eventuell müssen Aufgaben neu verteilt werden, um das gemeinsame Ziel einer besseren Sicherheitskultur zu erreichen. Auch Sicherheitsbeauftragte können in vielen Firmen eine aktivere Rolle spielen und diverse Aufgaben übernehmen.

3. Aufschieben ungeliebter Aufgaben

In der idealen Welt hat Arbeitsschutz TOP-Priorität. In der Realität gibt es viele konkurrierende Themen. Außerdem gibt es für jeden Menschen Aufgaben, die mehr Spaß machen als andere. Manche wichtige Arbeitsschutz-Aufgaben machen eher weniger Spaß. Trotzdem müssen sie gemacht werden.

Die meisten Menschen schieben ungeliebte Aufgaben auf. Am liebsten auf Freitagnachmittag und am Freitagnachmittag kommt doch etwas dazwischen. Das ist menschlich. In extremer Ausprägung spricht man von prokrastinieren. Es gibt aber auch viele Konzepte und Tipps, die gegen Aufschieberitis helfen, die man für solche Situationen anwenden kann. Es dient also nicht als Ausrede.

4. Bauchgefühl-Risikoeinschätzungen

Was muss tatsächlich für den Arbeitsschutz getan werden? Darüber kann es auch aus technischer bzw. fachlicher Sicht Meinungsverschiedenheiten geben. Ist die Investition für ein neues Sicherheitsfeature notwendig, oder nur nice-to-have? Ist die Risikodarstellung Schwarzmalerei und bremst die Sifa die Freigabe der neuen Anlage? Oder blockiert die Führungskraft Fortschritte im Arbeitsschutz, weil sie die Investition, die ein ernstzunehmendes Risiko lösen würde, nicht freigibt?

Führungskraft und Sifa haben unterschiedliche Blickwinkel, Erfahrungen und Ziele, die zu unterschiedlichen Risikobewertungen führen können. Risikowahrnehmung ist eine subjektive Angelegenheit. Die Sifa kommt mit einem neutraleren, geschulten Blick von außen, die Führungskraft kennt die Prozesse besser.

Grundsätzlich neigen wir dazu, das Risiko gewohnter Tätigkeiten, die wir regelmäßig ausführen, zu unterschätzen. Für die Risikobeurteilung im Arbeitsschutz orientieren wir uns an Grenzwerten, qualitativen Anforderungen aus Gesetzen und Normen, oder Ergebnissen systematischer Risikobeurteilungen. Hierfür gibt es verschiedene, anerkannte Konzepte. Offen die einzelnen Elemente der Risikobeurteilung zu besprechen hilft, Konflikte, die evtl. durch unterschiedliche Bauchgefühle entstanden sind, zu lösen.

5. Lästig empfundene Maßnahmen

Es gibt im Arbeitsschutz immer wieder Aufgaben oder Maßnahmen, die Mitarbeitende oder Führungskräfte als Schikane bzw. lästig empfinden. Es ist wichtig, dies zu erkennen und aufzugreifen. Wenn wir Kollegen mit Themen belästigen, die für sie nicht nachvollziehbar sind, fehlt schnell der Rückhalt und das Engagement auch für andere Arbeitsschutz-Themen. Solche lästigen Aufgaben sollten im Team genauer unter die Lupe genommen werden.

Sind sie wirklich in dieser Art notwendig? Oder ist das gewünschte Schutzziel auch anders zu erreichen? Wir haben viel Gestaltungsspielraum, den wir in solchen Fällen unbedingt nutzen sollten. Wenn es Alternativen gibt, können wir die Maßnahme ändern. Dann wird Arbeitsschutz für alle leichter. Wenn es keine Alternativen gibt, hat man zumindest die richtigen Argumente gesammelt, um die Maßnahme besser erklären zu können. Damit schafft man ein besseres Verständnis und erhält die grundsätzliche Akzeptanz für Arbeitsschutzmaßnahmen aufrecht.

6. Mangelnde Softskills

Abgesehen von der Zeit, die man sich für die Weiterentwicklung der Sicherheitskultur nehmen muss, braucht es auch gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten, um möglichst schnell voran zu kommen und Erfolge zu erkennen. Vieles basiert darauf, wie wir führen und wie wir miteinander kommunizieren.

Wie reden wir über Arbeitsschutz? Welcher Ton schwingt mit? Wie reagieren wir, wenn jemand ein Risiko angesprochen hat? Wieviel Vertrauen haben wir gegenseitig? Haben wir genug Expertise, um den Prozess selbst zu leiten, oder hilft uns besser jemand von außen? Über verschiedene Führungsstile und Kommunikation wird es weitere Folgen dieser Serie geben.

Fazit

Trotz aller Schwierigkeiten und Stolpersteine ist es wichtig und möglich, die Sicherheitskultur einer Firma zu verbessern. Es ist entscheidend, dass Führungskräfte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit gut zusammenarbeiten und wertschätzend miteinander umgehen. Gegenseitiges Verständnis und eine Kommunikation auf Augenhöhe helfen, mit Enttäuschungen besser umzugehen und gute Lösungen für den Arbeitsschutz zu finden.